„Im Sommer fuhren sie nach Amagansett. Holzhäuser. Blaue, blaue Tage. Sommer ist die Mittagszeit der Familie.“

Der amerikanische Autor James Salter kultivierte, was Stilpuristen gern verbieten: einen Stil der unvollständigen Sätze. Buchkritiker feiern ihn dafür als Meister des elliptischen Stils (Ellipse = Auslassung).

Weniger erfahrene Schreiber stehen Halbsätzen dagegen skeptisch gegenüber. Wohl deshalb taucht in fast jedem meiner Schreibseminare die Frage auf: Darf man das? Einen halben Satz formulieren? Einen ohne Subjekt oder Prädikat? Oder sogar einen, der nur aus einem einzigen Wort besteht? Ist das wirklich korrektes Deutsch?

Meine Antwort darauf lautet ja, ja und ja. Denn Halbsätze und Satzfragmente sind keine Nachlässigkeit. Sondern ein rhetorisches Stilmittel, mit dem sich viel anfangen lässt.

Sehen Sie selbst!

 

Schreibtipp 1: Ellipsen ziehen den Blick an

Obwohl sie nicht brandneu sind. Die fünfte Vienna Fashion Night lockte mit einem Stakkato von drei Ein-Wort-Sätzen über 10.000 Modefans in die Wiener Innenstadt: Shoppen. Party. Charity.

Vienna Fashion Night

 

Schreibtipp 2: Ellipsen sparen inhaltslose Wörter ein

Heraus kommt eine Sprache der schnellen Schnitte, die besonders dicht und eingängig ist. Häufig steht der Einwort- oder Halbsatz sogar in einem eigenen Absatz. So wie in diesem Beispiel, das ich dem sehr erfolgreichen Affenblog entnommen habe:

affenblog Textbeispiel

 

Schreibtipp 3: Ellipsen klingen authentisch

Kein Mensch denkt in druckreif formulierten Sätzen. Gelegentliche Halbsätze erwecken daher den Eindruck, man schaue dem Autor oder der erzählenden Person beim Verfertigen der Gedanken zu. Der neue Roman Heart. Beat. Love des Megabestseller-Autors James Patterson liefert das Beispiel dafür:

Typisch Robinson. Einmal hatte ich ihn scherzhaft als »Schuft« bezeichnet und seitdem erinnerte er mich ständig daran. Er war fast 17 und mein bester Freund. Mein Verbündeter.

 

Schreibtipp 4: Ellipsen setzen noch eins drauf

Am Absatzende verführen sie den Leser zum Mehr-Wissen-Wollen, am Textende wirken sie wie ein unerwartetes Extra. Pay-off sagen Profischreiber dazu. Bei ZEIT-Kolumnist Martin Wehrle klingt das so:

Für positive Gedanken gilt dasselbe wie für negative: Je öfter wir sie denken, desto tiefere neuronale Pfade hinterlassen sie im Gehirn; desto leichter fällt es, das Gedachte in die Tat umzusetzen. Sogar unter Stress.

 

Schreibtipp 5: Ellipsen klingen locker

Deshalb nutzt Apple Halbsätze als Stilmittel, um Dialog und Kundennähe zu kommunizieren:

„Warum ein iPad? Gut, dass du fragst.“

 

Schreibtipp 6: Ellipsen wecken Assoziationen

Ein paar gezielte Impulse – und das Gehirn denkt sich den Rest selbst dazu:

„Holzhäuser. Blaue, blaue Tage.“

Mehr braucht es nicht, um die gespeicherten Bilder von Sommer, Sonne und Strand ins Bewusstsein zu heben.

 

Schreibtipp 7: Ellipsen erfordern Gespür

Ellipsen sind ein Allzweck-Tool im stilistischen Werkzeugkasten. Allerdings erfordern sie Gespür. Denn Halbsätze passen weder zu allen Themen noch sprechen sie alle Zielgruppen an.

Setzen Sie Satzfragmente deshalb bevorzugt ein, um einen journalistischen Sound zu erzeugen und junge oder urbane Zielgruppen anzusprechen. Also in der Werbung, beim Corporate Publishing, bei belletristischen Texten und natürlich in den sozialen Medien.

Ernste Themen und konservative Leser verlangen dagegen eine streng neutrale Tonalität. Insbesondere bei offiziellen Texten wie Gutachten, Schriftsätzen oder Abschlussarbeiten sind Ellipsen fehl am Platz. Auch bei der repräsentativen Geschäftskorrespondenz wählen Sie besser einen Sprachstil der vollständigen Sätze und eindeutigen Aussagen.

 

Was Halbsätze definitiv nicht sind

Allen Vorurteilen zum Trotz: Halbsätze sind kein modischer Hype, den uns die sozialen Medien eingebrockt haben. Deshalb habe ich als Vorbild dafür James Salter ausgesucht, der seine große Zeit vor 40 Jahren hatte und kein neuer, sondern höchstens ein neu entdeckter Autor ist. Der Tagespiegel nennt ihn einen brillanten Stilisten, „der Sätze zum Leuchten bringen konnte.“

 

Buchtipp: James Salter, Lichtjahre

LichtjahreMein Lieblingsbuch von James Salter heißt: Lichtjahre. Eine poetisch geschriebene Geschichte über die Vergänglichkeit des Glücks, perfekt für blaue, blaue Sommertage!

James Salter. Lichtjahre
Berlin Verlag Taschenbuch 2014
ISBN: 978-3-8333-0969-4

 

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