Quod licet Jovi, non licet bovi. Anders gesagt: Was man sich auf der Topetage leisten kann, beschädigt weiter unten die Karriere. Jetzt endlich ändert sich die Unternehmensethik.
Beispiele wie König Juan Carlos, Bayern-Manager Uli Hoeneß oder Ex-Karstadt-Boss Thomas Middelhoff zeigen: Was früher als Kavaliersdelikt durchging, ahndet heute der Zeitgeist. Auf den sozialen Medien verbreiten sich selbst kleine Verstöße gegen die Unternehmensethik im Handumdrehen.
Wer weit oben steht, steht ethisch nicht (mehr) über allem.
Führungskräfte aller Ebenen sind daher gut beraten, Werte zu leben und das Miteinander angenehmer, zivilisierter zu gestalten.
Welche Werte zeichnen Spitzenpersönlichkeiten aus?
Die meisten Unternehmen und Organisationen definieren die gewünschte Unternehmensethik in ihren Leitbildern oder Corporate-Governance-Regeln.
Es zeigt sich allerdings: Nur jeder sechste Arbeitnehmer findet, dass die Führungskräfte die Leitbild-Werte auch leben.
Wenn diese Einschätzung stimmt, verschenken Managerinnen und Manager eine große Chance. Sie verzichten darauf, durch den emotional intelligenten Umgang mit Menschen einen Kreislauf des Respekts in Gang zu setzen.
Dabei gehört nicht viel dazu, Wertschätzung und Wertschöpfung unter einen Hut zu bringen. Im Grunde sind es eine Handvoll Knigge-Werte: Integrität, Augenhöhe, Wertschätzung und Vertrauen.
#1 Integrität: Streng gegenüber sich selbst sein
Ellenbogen, der eigene Vorteil, Gewinnmaximierung um jeden Preis – Egoismen sind im Management (und nicht nur dort) an der Tagesordnung. Integre Führungspersönlichkeiten kennen diese Anfechtungen und legen an sich mindestens so strenge Maßstäbe an wie an andere. Das vorbildhafte Verhalten trägt ihnen Glaubwürdigkeit und natürliche Autorität ein – verdienten Respekt.
Gelebte Integrität zeigt sich in vielen sichtbaren und verborgenen Verhaltensweisen. Integer handelt …
- die Managerin, die um der Kinder willen häufig im Home Office arbeitet – und ihren Mitarbeitern ähnliche Freiheiten zugesteht
- der Firmenchef, der Gesellschaftern und Mitarbeitern reinen Wein über die Ernsthaftigkeit der Lage einschenkt
- die Personalerin, die den am besten geeigneten Bewerber einlädt – auch wenn sie den Job gern einer guten Freundin zuspielen würde
- der Agenturchef, der bei der Pitch-Präsentation überzeugt – und öffentlich würdigt, wer im Team die zündende Idee geliefert hat.
#2 Kommunikation auf Augenhöhe: Wissen teilen
Das Wort Kommunikation bedeutet: etwas gemeinsam tun. Nie war dies in der Arbeitswelt so gefragt wie heute. Junge Leistungsträger wollen wissen, was sie tun und warum. Wer in den sozialen Medien offen Informationen und Meinungen teilt, erwartet auch im Job konstruktives Feedback und persönliche Nähe. Realtime. Nicht nur als gute Absicht im Unternehmensleitbild.
Respekt heißt heute auch: miteinander reden. Klick um zu TweetenFür wertorientierte Managerinnen und Manager bedeutet das konkret:
- Sie achten auf den eigenen Stil unter Stress, vermeiden Ruppigkeit und bemühen sich, in jeder Situation sachlich und besonnen zu argumentieren.
- Sie sorgen für einen effizienten Informationsfluss von oben nach unten, sind für Mitarbeiter persönlich erreichbar und legen die Hintergründe unpopulärer Entscheidungen offen.
- Sie binden Mitarbeiter durch Fragen und Zuhören in Entscheidungen ein, liefern mehr Impulse als Lösungen und zeigen Respekt vor anderen Meinungen.
- Sie legen die Tatsachen auf den Tisch, formulieren Kritik aber gesichtswahrend und lösungsorientiert.
- Sie übernehmen ohne Wenn und Aber die Verantwortung für Fehler und schieben nichts auf Mitarbeiter oder Kollegen ab.
#3 Wertschätzung: Die anderen akzeptieren
Ursprünglich bezeichnete das Wort Wertschätzung die positive Grundhaltung eines Psychotherapeuten gegenüber seinem Klienten. Inzwischen haben auch Unternehmen den Wert der Wertschätzung erkannt.
Management by Samthandschuh bedeutet nicht, einen Kuschelkurs zu fahren. Es bezeichnet die innere Haltung, jeden Menschen in seinen Besonderheiten zu achten. Auch wenn sich dessen Ziele oder Denkmodelle von den eigenen unterscheiden.
Konkret lässt sich Wertschätzung durch viele kleine Gesten der Aufmerksamkeit erfahrbar machen:
- Man kultiviert die Grundregeln der Höflichkeit – auch gegenüber Mitarbeitern: Händedruck, aufstehen beim Empfang, Kaffee anbieten, zur Tür begleiten.
- Man schenkt Anerkennung und nutzt jede Gelegenheit, die Leistung anderer zu würdigen.
- Man interessiert sich für fremde Eindrücke, Erfahrungen und Meinungen („Wie haben Sie die Messe erlebt?“).
- Man nimmt Befindlichkeiten und Bedürfnisse wahr: „Ich weiß, dass Sie schwer erkältet sind. Respekt, wie souverän Sie die Präsentation vor dem Führungsteam trotzdem hinbekommen haben.“
- Man wertet angemessen formulierten Widerspruch als Engagement.
- Man schätzt Menschen in ihrer Andersartigkeit: Jüngere und Ältere, Introvertierte und Extravertierte, Querdenker und Bewahrer, Anhänger und Kritiker.
Wie Wertschätzung mit Wertschöpfung zusammengeht, bringt die Business-Coach Anne M. Schüller auf den Punkt:
„Durch Tadel macht man die Menschen klein, durch Wertschätzung macht man sie groß. Staunende Beachtung, bewundernde Aufmerksamkeit und tosender Applaus sind wie reiner Sauerstoff. Sie lassen Leistungen katapultartig nach oben schnellen.“
#4 Vertrauenskultur: Ein angenehmes Klima pflegen
Immer mehr Mitarbeiter erwarten, dass Leistung und Ergebnisse zählen, nicht Sitzfleisch und Ja-Sagen. Dass berufliche Aufgaben den Einsatz lohnen. Und dass gute Arbeit und ein gutes Leben miteinander vereinbar sind.
Der Wunsch nach Gestaltungs- und Freiräumen verdient Respekt – und verlangt Führungskräften einiges ab. Während sich Integrität mit gutem Willen, Kommunikation mit gutem Training und Wertschätzung mit guten Manieren verwirklichen lassen, braucht eine Kultur des Vertrauens ein grundlegend anderes Denken: Führungskräfte müssen Zutrauen in die Kreativität und Selbstverantwortung der Mitarbeiter entwickeln.
Im Einzelnen bedeutet dies:
- Respektvoll handelnde Spitzenpersönlichkeiten führen mit Visionen und Zuversicht statt mit Kontrolle und Druck.
- Sie organisieren Arbeit so, dass hoch ausgebildete Mitarbeiter ihre Talente ausspielen können.
- Sie ermöglichen, dass Menschen ihre beruflichen und privaten Ziele erreichen und miteinander vereinbaren.
- Sie lassen Vorschläge, unbequeme Fragen und abweichende Meinungen als Treiber von Innovation und Verbesserung zu.
- Sie lassen der faszinierenden, spielerischen Seite von Arbeit Raum – weil kreative Prozesse Austausch, Pausen und geistige Umwege brauchen.
Unternehmensethik: Respekt ist eine Zweibahnstraße
Das Lächeln, das du aussendest, kehrt zu dir zurück, heißt ein indisches Sprichwort. Mit dem Respekt ist es genauso.
Führungspersönlichkeiten, die respektvoll handeln und kommunizieren, empowern ihre Mitarbeiter. Umgekehrt erfahren sie auch selbst mehr Zugehörigkeit. Der Unternehmer und Managementberater Rainer Weichbrodt beobachtet:
„Viele Führungskräfte fühlen sich selbst viel glücklicher, wenn sie ihre Glaubenssätze und verspürten Rollenzwänge aufgegeben haben und gemeinsam mit ihren Mitarbeitern Zukunft nachhaltig gestalten.“
Management by Samthandschuh kommt demnach nicht nur den Mitarbeitern und Kunden zugute. Es beflügelt auch das eigene Glück.
Dieser Artikel erschien in Langform unter dem Titel Dem Menschen Respekt zollen zuerst in Rolf Meier. Wirksame Menschenführung: Die systemisch-wertschöpfende Mit-Arbeiterführung in Unternehmen. Wissenschaft & Praxis 2014.
Die Contentmacherin: Dr. Doris Märtin berät und unterstützt Unternehmen, Führungskräfte und Mitarbeiter, Kunden emotional intelligent anzusprechen und mit einer zeitgemäßen Sprachkultur zu überzeugen. Sie entwickelt Texte und Content, gibt Workshops, hält Vorträge und schreibt Bücher rund um die verbale und non-verbale Kommunikation. Sie wollen mehr erfahren, was Doris Märtin für Sie tun kann? Hier kommen Sie zum Beratungsangebot.
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