Nina Schellhase von campus.de hat mit mir über Exzellenz gesprochen und warum sie in der digitalen Welt so besonders wichtig wird.

Doris Märtin. Exzellenz. Sind Sie heute schon über sich hinausgewachsen?

Campus: Exzellenz, klingt wie ein historischer Begriff. Wie kommen Sie darauf, dass Exzellenz heute brandaktuell ist?

Doris Märtin: Genau, wir kennen den Begriff Exzellenz als Ehrenanrede, zum Beispiel für Bischöfe oder Botschafterinnen. Darüber hinaus wird Exzellenz benutzt, um Marken oder Institutionen aufzuwerten: Weine, Autos, Unis, Initiativen. In der Philosophie, aber auch in der Managementliteratur wird der Begriff Exzellenz aber eher mit einem Streben als einem Status in Verbindung gebracht. Es geht um das Ideal, sich selbst übertreffen zu wollen. So gesehen passt das Konzept der Exzellenz außerordentlich gut in unsere Zeit – als ein Leitbegriff, der Orientierung gibt und uns anspornt, über uns hinauszuwachsen.

Viele Menschen bringen Exzellenz mit anderen in Verbindung, mit sich selbst eher selten. Wie kommt das?

Die meisten Menschen halten Exzellenz für einen Status, also einen Ausnahmeerfolg, den jemand bereits erreicht hat, Kamala Harris zum Beispiel oder das Forscherehepaar Özlem Türeci und Ugur Sahin, denen der Bundespräsident für die Entwicklung des Biontec/Pfizer-Impfstoffes das große Verdienstkreuz verliehen hat. Im Vergleich zu solchen herausragenden, öffentlich bekannten Menschen erscheint es natürlich vermessen, den Begriff Exzellenz auch nur ansatzweise für sich selbst in Anspruch zu nehmen.

Ist Exzellenz ein Zustand oder eine Aktivität?

Sie ist beides. Aber der spannendere und lohnendere Aspekt für Menschen wie Sie und mich ist das Verstehen, dass Exzellenz von unserem alltäglichen Tun abhängt. Interessanterweise hat das bereits Aristoteles so gesehen. Er begreift Exzellenz nicht als einmalige Handlung oder singulären Erfolg, sondern als eine Gewohnheit, die durch Training und Dranbleiben erlernt wird. Wir werden demnach exzellenter, indem wir aus unseren Talenten und Möglichkeiten das Beste machen. Es kommt darauf an, über das persönliche Normalmaß hinauszugehen. Das ist kein einmaliger Kraftakt, sondern eine Grundhaltung.

Was lernen wir in Ihrem Buch?
In meinem Buch geht es darum, dass und wie wir im Rahmen unserer Möglichkeiten zu unserer vollen Größe auflaufen. Da hat jeder viel Luft nach oben – auch Menschen, die schon sehr, sehr gut sind in dem, was sie tun. Der Nebeneffekt dabei ist: Wenn wir uns selbst übertreffen, steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass wir andere übertreffen. Und zwar mit dem fairsten Mittel, das ich mir denken kann: der Bereitschaft, das Beste zu geben, was uns mit unseren jeweiligen Talenten und Kräften möglich ist. Wichtig: Dabei geht es nicht um Perfektion. Es geht darum, die eigenen Möglichkeiten umzusetzen.

Wo beginnt die Arbeit an der eigenen Exzellenz?

Wir können Exzellenz bei allem verwirklichen, was wir tun: in Beziehungen, im Job, im Sport, im Gesundheitsverhalten, in unserem Umgang mit Natur und Umwelt. In allen Bereichen unseres Lebens können wir zwischen bequemeren und exzellenteren Lösungen wählen. Was das im Einzelfall ist, weiß jeder von uns ziemlich genau und es beginnt mit Kleinigkeiten: Treppe statt Lift, zuhören statt nebenbei ins Smartphone schauen, ungewohnte Ideen offen aufzunehmen statt sie beiseite zu wischen. Plakativ ausgedrückt steigern wir unsere Exzellenz (oder eben nicht) mit dem, was wir in den nächsten fünf Minuten tun.

Was hat Exzellenz mit Digitalisierung zu tun?

Ich mag sehr den Satz der Lyrikerin Nora Gomringer: Das Digitale schenkt uns eine ganze Welt. Sie liefert uns unendliche Möglichkeiten, Geschäftsmodelle zu verwirklichen, die sich vorher nicht verwirklichen ließen, zum Beispiel AirBnb, oder forsche Lösungsmodelle umzusetzen wie Smudos Pandemie-App Luca. Die technischen Möglichkeiten sind aber erst der Anfang. Sie wirklich auszuschöpfen, stellt höchste Anforderungen an die Persönlichkeit: Trends erfassen, sich auf Veränderungen einlassen, Ungewissheit aushalten, immer weiter zu lernen, über Firmen, Länder oder unterschiedliche Herkünfte hinweg kooperieren, durch das gute Beispiel zu wirken im Sinne von »walk the talk«. Persönliche Exzellenz ist unsere beste Chance, dass die künstliche Intelligenz uns nicht alt aussehen lässt. Sondern uns neue Wege und Welten erschließt. Als Exzellenzkompetenzen dafür braucht es unter anderem einen offenen Geist, Empathie für Menschen und ihre verborgenen Wünsche, Leadership, Agilität und die Fähigkeit, im Team Ideen zum Klingen zu bringen.

Doris Märtin Exzellenz. Campus 2021

Doris Märtin
Exzellenz. Wissen Sie eigentlich, was in Ihnen steckt?
Campus 2021
Hardcover gebunden
Erscheinungstermin: 10.03.2021
ISBN 9783593513782
329 Seiten
Lesebändchen

 

Das Interview ist zuerst erschienen am 09.03.2021 bei campus.de